Kurtz Texte
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27.04.2024
Das Rheingold – Opernhaus Zürich
WTF did I just watch? Aber von vorne. Ich wollte schon länger eine Oper im Opernhaus Zürich sehen, einfach um mal eine gesehen zu haben. Vor tausend Jahren waren wir, im schulischen Rahmen, in einer Vorstellung der Zauberflöte, meine Erinnerungen daran: Dönersauce auf dem Anzug und Weggepennt im oberen Rang. Dies wird weder der Zauberflöte noch dem Opernhaus Zürich gerecht und diese Reminiszenz wollte ich, wenn auch nicht korrigieren, so wenigstens ergänzen. Eine Podcastfolge von «Wohlstand für Alle», welche «Der Ring des Nibelungen» besprach, führte dazu, dass ich meine Pläne konkretisierte.
Ich fragte mich, ob ich dies als sozialen Anlass mit Freunden planen solle und entschied mich bewusst dagegen. Keine Ahnung, ob ich jemanden für die Oper hätte begeistern können, doch der Punkt war, die Oper nicht als Abendunterhaltung im sozialen Kontext, sondern die Oper um der Oper willen, begreifbar zu machen. Die sozialen Konventionen, welche das Haus und das «Prinzip Oper» an sich beinhalten, sind zahlreich genug.
Da das Opernhaus Zürich den Ring im Programm hatte, bemühte ich mich um eine Karte. Zu jener Zeit war bereits fast alles Ausverkauft, lediglich für den Vorabend, sprich: «Das Rheingold», gab es noch welche. Da bereits der Vorabend mit zweieinhalb Stunden veranschlagt wird, ohne Pausen, dachte ich mir, das passt doch und bestellte sogleich. Die Karten kommen im hübschen Opernhaus Couvert daher, was WG Intern beinahe zu einer Verletzung des Briefgeheimnisses geführt hätte, da mein Mitbewohner fürs Opernhaus tätig ist und er seine Post vom Arbeitgeber regelmässig in solchen Couverts erhält. Die Karte selbst gab es, anders als bei einigen Metalgigs, leider nicht im Fan-Format, so dass diese, dem Anlass entsprechend, in schlichter Würde daherkommt.
Anders als bei Metalgigs auch meine Vorbereitung. Sehe ich mir eine Metalband an, gehe ich einfach vorbei, da ich die Musik schon kenne; oder ich lasse mich bei Vorbands von neuer Musik überraschen. Seltener höre ich vor dem Gig noch eben in die Vorbands rein oder ins aktuellste Album einer altgedienten Band oder so. Über die konkrete Inszenierung am Opernhaus Zürich informierte ich mich bewusst nicht. Ich gönnte mir die Textbücher mit umfangreichem Kommentar von Reclam sowie eine neue Ausgabe einer alten Aufführung der Bayreuther Festspiele.
Nun ist der Samstag gekommen und ich werde unweigerlich an Thomas Mann erinnert, der in seinem «Versuch über das Theater» schreibt: «Und so macht man sich denn auf zur Tempelbude, diesem musischen Staatsinstitut. Man wirft sich in Schwarz, man hat Gesellschaftsfieber. Es trifft sich möglicherweise schlecht, man ist vielleicht müde, verstimmt, ruhebedürftig; aber man hat sechs Tage vorher unter bedeutenden Opfern an Zeit und Bequemlichkeit sein Billett von einem Beamten erstanden und ist gebunden.»
Ich informierte mich über die Kleiderordnung und erfuhr, fast enttäuscht, dass es keine (mehr?) gibt. Die Konventionen sind auch nicht mehr, was sie mal waren, dennoch entscheide ich mich für einen Anzug mit Krawatte. Ähnlich individualistisch uniformiert verhalte ich mich, wenn ich mir vor einem Heavy Metal Konzert meine Kutte überziehe. Ich bin etwa 45 Minuten vor Beginn beim Opernhaus Zürich, ein eindrucksvolles Gebäude, welches ich von aussen ausgiebig betrachten kann, da ich mir noch eine Nikotinüberdosis in Form von sieben Zigaretten verpasse, da ich nachher knapp drei Stunden nicht rauchen kann. (Drei Stunden nicht zu Rauchen ist nicht das Problem, nicht Rauchen zu dürfen, das stresst mich). Ich zeige meine Karte vor, sie wird gescannt und der Einlass wird mir gewährt. Etwas verwundert darüber, nicht gefilzt zu werden, schreite ich durch die Türen. Ich suche erstmal meine Loge, im Gang vor jener begrüsst mich eine Mitarbeiterin. Ich erkläre, dies sei mein erster Besuch, (die Episode mit der schlafenden Dönersauce brauche ich nicht immer und überall zu erwähnen), und werde freundlich instruiert. Die Loge sei genau hier, aber noch zu, wenn der Gong erklingt, öffne sie die Türen und würde mir den Platz zuweisen. Ich nutze die verbleibende Zeit, um im Opernhaus umherzugehen und geniesse das Bauwerk an sich.
An der Bar bestelle ich mir noch ein Wasser, welches vor der Vorstellung ausgetrunken werden muss. Ich achte mich auf den Bierpreis, mit CHF 6.- für 33cl würde ich nur marginal schlechter fahren als im Komplex mit CHF 8.- für 50cl. Mangels der Möglichkeit, dem Bierkonsum inhärentem Rhythmus des Toilettenganges Folge leisten zu können, bleibe ich beim einen kleinen Wasser. Der Gong erklingt und ich begebe mich in die Loge 10 des 1. Ranges auf der rechten Seite. Dort wird mir der Platz in der zweiten Reihe zugewiesen. Es handelt sich um freistehende Stühle und meiner ist an der Säule zur rechten angelehnt und trotzdem ist der Durchgang zur ersten Reihe nicht mit dem durchschnittlichen BMI der Eidgenossenschaft vereinbar. Zur Folge hat meine, zugegeben via Tickettool selbst getroffene, Platzwahl, dass ich auf einer Seite in der Bewegungsfreiheit so eingeschränkt bin, dass ich meinen Kopf nur wenig regen und so meinen Blick auf die Bühne nur marginal gegenteilig des Kopfes meines Vordermannes ausrichten kann. Es folgt eine Tonbandansage (vermutlich schon digital), auf Deutsch und Englisch, welche auf das ausmachen des Handys aufmerksam macht und alle Anwesenden im Opernhaus Zürich begrüsst. Wobei Opernhaus als Eigenname auch in der Englischen Version als «Opernhaus» und nicht etwa «opera house» ausgesprochen wird.
Das Orchester beginnt und das Licht wird langsam gedimmt bis der Kronleuchter schliesslich ganz erlischt. Langsam hebt sich der Vorhang und eine sich drehende Bühne wird offenbar. Was ich sehe, passt so gar nicht zur Vorstellung, welche mir die Bayreuther Version eröffnete, doch hilft es mir im Verlauf der Vorstellung als Orientierung im Sinne von «Ach, das ist gemeint», als Banause wie ich einer bin, nicht unwesentlich. Noch wichtiger als der Vergleich ist aber die Untertitelung (eigentlich Übertitelung), da ich im Gegensatz zum wohl illuminierten Wohnzimmer, schlecht mit meinem Reclam Büchlein in der Oper sitzen kann. Der Typ vor mir scheint, reine Spekulation meiner Seite, nur wegen seiner Begleitung in die Oper gekommen zu sein. Sichtlich gelangweilt stütz er sich mal Links am Geländer mal Rechts an der Begleitung ab, gähnt, putzt die Brille, gähnt und stütz sich wieder ab. Auffallen tut mir dies nur, weil sich die erwähnte marginale Manövrierfähigkeit anhand seiner durch Langeweile bestimmten Posen entfaltet. Dies hat nicht nur Nachteile, gefühlt eine Stunde bleibt er beinahe regungslos und ich geniesse das Stück mit bester Sicht. Habe ich den Preis für eine Karte schon erwähnt? Nicht? 184 Schweizer Franken. Dafür die Sicht von der Langeweile eines Besuchers abhängig zu machen dünkt mich mutig, eigentlich frech, aber es passte dann doch grossmehrheitlich. Auch eine popkulturelle Referenz drang sich mir auf, als Loge (nicht die Loge im Zuschauerraum sondern Loge, ein Charakter in «Das Rheingold») auf dem Fenstersims erscheint und dort Oben steht, dachte ich schon «Captain Jack Sparrow» sei ins Set geschlichen. Dieser Parallele werden weitere folgen und ich, als Banause, welcher sich vorab nicht mit dieser konkreten Inszenierung befasste, denke, das muss ein Zufall sein. So etwas ordinäres hat doch in der Hochkultur nichts verloren. Im Nachgang sah ich, dass es Rezipienten von grossen deutschsprachigen Tageszeitungen auch so sahen, nun gut, auch das könnten Banausen sein.
Zweieinhalb Stunden dauert «Das Rheingold» und gestört wurde es nur von einigen Hustern und Räusperern, sowie einmal einer sich öffnenden Türe. Dies zumindest, was ich bemerkte. Für mich zweieinhalb Stunden ohne Biernachschub, Zigaretten- und Toilettenpause, still zu sitzen, ist eine Herausforderung, ich fühle mich nicht wohlig entspannt in so einem Setting. Es wird vom Publikum eine Selbstdisziplin abverlangt, welche ich so nur vom Bundesstrafgericht oder dem Deutschen Bundestag kenne. (Bei Letzterem explizit «ausschliesslich» vom Publikum, nicht von den MdBs). Die Darbietung und insbesondere das grandiose Orchester entschädigt einen Dafür.
Zwei Forderungen leite ich aus dem Erlebten ab:
1. Alle welche in einem Kanton wohnhaft sind, welcher das Opernhaus mit Steuergeldern subventioniert, sollten ab dem 20. Geburtstag, auf jeden runden Geburtstag, eine Freikarte erhalten. Im schulischen Rahmen ist es meist zu früh. (Ich schliesse von mir auf Andere, äxgüsi). Studentische Formate und einfach Vergünstigungen werden dem Anspruch auch nicht gerecht. Es sollte möglichst niederschwellig allen Schichten ermöglicht werden. Zum runden Geburtstag ein Schreiben mit Gratulation und einer Einladung. Gutscheincode für 100% Ermässigung auf eine Karte, bedienen sie sich. Irgendwie so, denn ich finde schon, das muss man Mal gesehen haben. Keine Dauerkarte, aber alle zehn Jahre, why the hell not?
2. Metalabend im Opernhaus. Mit dem ausserordentlich fantastischen Orchester im Graben, Iron Maiden auf der Bühne, Dosenbier unter den Stühlen. Mit Rauchpausen.
Wenn jemand mal in die Oper will, «ich tät aso wieder mal gaa», einfach melden. Wer ohne die abverlangte Selbstdisziplin mal Reinschnuppern möchte, dem sei «oper für alle» am Sa. 15. Juni 2024 auf dem Sechseläutenplatz empfohlen.




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